Die neue digitale Revolution beginnt in Dresden Taktiles Internet

Prof. Dr. Gerhard Fettweis forscht mit Partnern an völlig neuen Technologien für das drahtlose Kommunizieren.
Prof. Dr. Gerhard Fettweis forscht mit Partnern an völlig neuen echnologien für das drahtlose Kommunizieren. (Foto: Jürgen Lösel)
04.08.2017 | Redaktion Autoland

Von der Eingabe eines Befehls bis zum Auslösen einer Reaktion, beispielsweise in einer Roboterzelle, vergehen heute im besten Fall 25 Millisekunden. Um reale und virtuelle Objekte in Echtzeit zu steuern, muss dieser schon kaum vorstellbare kurze Zeitraum auf eine Millisekunde reduziert werden. Dafür braucht es völlig neue Technologien zum drahtlosen Kommunizieren. Prof. Dr. Gerhard Fettweis hat für diese Herausforderung den Begriff des taktilen Internets geprägt. „Taktil steht für Fühlen. Durch die direkte Kopplung zwischen Mensch und Maschine kann der Tastsinn der menschlichen Hand sozusagen direkt auf die Maschine übertragen werden. Hier eröff nen sich ganz neue Applikationen beispielsweise in der Industrieautomation, der Verkehrssteuerung, der Energieerzeugung oder im medizinischen Bereich. Mittels Mobilfunk in Echtzeit werden feinmotorische Handlungen aus großer Entfernung möglich. So können Fahrzeuge in Zukunft so schnell kommunizieren, dass Gefahrensituationen rechtzeitig erkannt und Fußgänger nicht mehr angefahren werden. In dezentralen Stromnetzen ermöglicht das Taktile Internet, verteilte Einspeiser und Lasten phasengenau zu schalten und Blindleistung zu minimieren. Es stellt eine funktionale Erweiterung des Smart Grids dar und leistet damit einen Beitrag zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Versorgungssicherheit.“

Immer höhere Datenraten und immer schnellere Übertragungszeiten bestimmen sozusagen das Berufsleben von Prof. Fettweis. Der Nachrichtentechniker arbeitete nach Studium und Promotion bei IBM Research in San Jose und TCSI Inc. in Berkeley, Kalifornien, in der Mobilfunkentwicklung, bevor er 1994 an die TU Dresden kam und der Berufung auf den Vodafone Stiftungslehrstuhl Mobile Nachrichtensysteme folgte. Die Neugier auf die neue Aufgabe, aber auch der Wunsch, dass die Kinder in einem europäischen Umfeld mit einem guten und bezahlbaren Bildungssystem aufwachsen, beförderten den Weg von Silicon Valley nach Silicon Saxony.

5G-Labor für Mobilfunk der fünften Generation

Dass Gerhard Fettweis seit 20 Jahren hier lebt und arbeitet, spricht für sich. „Ich bereue diese Entscheidung überhaupt nicht, obwohl es am Anfang schon ganz schön verrückt war“, bekennt er. Da waren die Universitätsgebäude, deren Bausubstanz eher zum Abriss denn zum Forschen einlud. Das internationale Publizieren von Forschungsergebnissen fand nur in einem eng begrenzten Raum statt. „Also haben wir zuerst Räume renoviert und sind daran gegangen, die verschiedenen Wissenschaftskulturen zu vereinen“, nennt er die ersten Aktivitäten, die neben den eigentlichen Forschungsaufgaben auf der Tagesordnung standen. Vom Vodafone Stiftungslehrstuhl sind seitdem bedeutende Impulse für die Entwicklung des Mobilfunks ausgegangen. Nach GSM und UMTS haben Prof. Fettweis und sein Team vor allem den LTE-Standard, den Mobilfunk der vierten Generation, gepuscht. Jetzt wird im 5G-Labor der TU Dresden an der fünften Generation geforscht. „Die mögliche Datenrate im Mobilfunk hat sich alle fünf Jahre um den Faktor 10 erhöht. Mit dem nächsten Mobilfunkstandard, der um 2020 marktreif sein wird, sind Datenraten von einem Gigabit pro Sekunde zu erwarten. In unserem Labor können wir bereits Daten mit einem Tempo von fünf Gigabit drahtlos übertragen. Und durch einen Wechsel auf höhere Funkfrequenzen lässt sich das Datentempo sogar auf 100 Gigabit pro Sekunde hochschrauben. Das alles ermöglicht es, mit dem taktilen Internet eine neue Stufe der digitalen Revolution zu erreichen“, betont der Funkexperte.

Die Elektronik-Spezialisten in Dresden denken jedoch schon deutlich über 2020 hinaus. In etwa 20 Jahren, so schätzt Prof. Fettweis, wird die Halbleitertechnik in punkto Miniaturisierung an ihre Grenzen stoßen. An der Überwindung dieser Barrieren arbeiten Wissenschaftler der TU Dresden und weitere Partner im cfaed – Center for Advancing Electronics Dresden (Zentrum für Perspektiven in der Elektronik Dresden). Das Zentrum unter Leitung von Prof. Fettweis hat ob seiner Bedeutung für die Elektronik der Zukunft den Status eines Exzellenzclusters der Bundesexzellenzinitiative erhalten. Die Akteure verfolgen einen ehrgeizigen und weltweit einzigartigen Ansatz: Dieser umfasst innovative neue Materialien, darauf basierende Bauelemente und Schaltkreise und reicht bis hin zu heterogenen Gesamtsystemen. Neben dieser ganzheitlichen Betrachtung zeichnet sich das cfaed durch sein Pfadkonzept aus: Mehrere, durch neue Materialien inspirierte Technologieoptionen werden so weit vorangetrieben, dass sie in elektronische Systeme integriert und damit erprobt werden können.

Dabei steht besonders die Integration von heterogenen Informationsverarbeitungssystemen im Fokus. Ein Ergebnis der bisherigen Forschungen ist die
Entwicklung des Spezialchips Tomahawk 2, der nicht nur besonders schnell und energieeffizient arbeitet, sondern speziell auf die Bedürfnisse vernetzter Produktion zugeschnitten ist. Der Prozessor kann unterschiedlichste Bauelemente problemlos miteinander verbinden und wichtiger Teil für vernetzte Fabriken und Entwicklungsabteilungen im Rahmen der Industrie 4.0 werden.

Spezialchip Tomahawk 2

Ein Ergebnis der bisherigen Forschungen im cfaed – Center for Advancing Electronics Dresden ist die Entwicklung des Spezialchips Tomahawk 2, der nicht nur besonders schnell und energieeffizient arbeitet, sondern speziell auf die Bedürfnisse vernetzter Produktion zugeschnitten ist. (Foto: Jürgen Lösel)

Der Ministerpräsident schreibt: Werdet Ingenieure!

Die Grundlagenforschung ist für Prof. Fettweis nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig sind ihm die industrielle Verwertung und das Ankurbeln der regionalen Wirtschaft. Das belegen bisher elf Ausgründungen aus seinem Lehrstuhl. „Wer aus dem Silicon Valley kommt, der bringt sozusagen das Gründer-Virus mit. Kein Berufsstand wird dort so hoch geschätzt wie der Ingenieur. Jeder weiß, dass zukünftige Entwicklungen vor allem von seinen Leistungen abhängen“, sagt der Inhaber des Vodafone Stiftungslehrstuhls und ergänzt: „Einen ähnlichen Geist habe ich auch in Sachsen vorgefunden. Hier schreibt sogar der Ministerpräsident den Abiturienten: Werdet Ingenieure! In welchem anderen Bundesland existiert das?“

Durch die Ausgründungen sind bisher mehr als 250 Arbeitsplätze in der Dresdner High-tech-Industrie entstanden. Und sie tragen klingende Namen, denn ihre Kompetenzen waren bei Global Playern gefragt. Der Start-up Systemonic ist heute ein Entwicklungsstandort für Pkw-Funkchips und Blue Wonder Communications ein LTE-Entwicklungsstandort von Intel. Die Kernkompetenzen der Dresdner liegen im Bereich Design für energieeffiziente mobile Breitband-Modems. Signalion hat sich als Hersteller von Mobilfunk- Messtechnik für den LTE-Standard etabliert. Das mittlerweile zu National Instruments gehörende Unternehmen verfügt über jahrelange Erfahrung bei der Erforschung von Wireless-Lösungen, der Implementierung von Algorithmen sowie der Entwicklung von Wireless-Systemen. Die Neugründung Exelonix entwickelt und vertreibt Assistenzsysteme für Senioren. Neben Sicherheitsfunktionen erschließen deren Produkte die Möglichkeiten des Internets für ältere, allein lebende Menschen und ermöglichen so deren Teilhabe an den neuen Formen der Informations- und Wissensgesellschaft. So fasst das digitale Dresdner Zeitalter Fuß in allen Lebensbereichen.


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