Seit 20 Jahren hat es noch nie so viele unbesetzte Stellen in der sächsischen Wirtschaft gegeben wie jetzt. Das ist ein Ergebnis des sächsischen Fachkräftemonitorings 2022. Mit der repräsentativen Umfrage erfassen die Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern im Freistaat seit 2001 regelmäßig die aktuelle Fachkräftesituation. 1.161 Unternehmen mit insgesamt rund 60.000 Beschäftigten haben sich am 2022er Monitoring beteiligt.
Der demografische Wandel schlägt voll zu und die Pandemie wirkt als Brandbeschleuniger. Im Vergleich zum letzten Fachkräftemonitoring hat sich der Personalengpass nochmals verschärft. Mit diesen Worten beschreiben Matthias Forßbohm, Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig, und Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig, die Situation.
Insgesamt 60 Prozent der befragten Unternehmen weisen vakante Stellen aus, 2018 waren es 55 Prozent. Besonders hoch ist der Bedarf an Facharbeitern und Gesellen branchenübergreifend. Mehr als jede zweite offene Stelle bleibt länger als sechs Monate unbesetzt. Die Such nach geeigneten Technikern und Meistern gestaltet sich dabei am schwierigsten. Vor allem Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern haben Probleme bei der Stellenbesetzung. Hier bleiben 70 Prozent der offenen Stellen länger als ein halbes Jahr unbesetzt.
Bis 2035 fehlen rund 300.000 Erwerbsfähige
Die Folgen langfristig unbesetzter Stellen sind weitreichend. An erster Stelle steht dabei die Mehrarbeit der Mitarbeiter, die den Personalmangel kompensieren müssen. Gegenüber 2018 ist zwar ein Rückgang der Überstundenleistung zu verzeichnen; dies ist unter anderem aber dem Umstand geschuldet, dass erheblich mehr Unternehmen als 2018 inzwischen auch mit der Einschränkung des eigenen Leistungsangebots reagieren und Umsatzrückgänge verkraften müssen.
Angesichts dieser Situation, die sich weiter verschärfen wird, denn bis 2035 werden dem sächsischen Arbeitsmarkt ca. 300.000 Erwerbsfähige weniger zur Verfügung stehen als heute, hat eine deutliche Mehrheit der Betriebe die Notwendigkeit aktiver Personalarbeit erkannt. 99 Prozent der befragten Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern direkte Zusatzleistungen wie regelmäßige Lohnerhöhungen, Prämierungen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten an. Bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter haben sich der eigene Webauftritt, die Nutzung von Online-Stellenportalen und sozialer Netzwerke unabhängig von Alter und Qualifikation der Arbeitssuchenden als wichtigste Instrumente bewährt. Auch persönliche Empfehlungen und die Abwerbung greifen in allen Bewerbergruppen. Azubis werden außerdem besonders häufig durch Praktika gewonnen.
Qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland unterstützen
Allein aus dem einheimischen Berufsnachwuchs wird Sachsen das Fachkräfteproblem nicht lösen. Bereits heute beschäftigt mehr als jedes dritte Unternehmen ausländisches Personal. Weitere 30 Prozent planen dessen Einstellung und suchen vor allem qualifizierte Fachkräfte. Das Anfang März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist dabei nur einer Minderheit bekannt. Lediglich zwei Prozent der Firmen gaben an, von dessen Möglichkeiten bisher Gebrauch gemacht zu haben. Sprachbarrieren bleiben nach wie vor das größte Hindernis, gefolgt vom bürokratischen Aufwand und den Unsicherheiten über das Qualifikationsniveau der zu Rekrutierenden. Auch die finanziellen Aufwendungen bilden für viele Betriebe eine hohe Hürde.
Wie das Monitoring belegt, wird auch eine fortschreitende Digitalisierung den Fachkräfteengpass nicht beseitigen. Eine Mehrheit der Unternehmen rechnet hier eher mit steigenden Beschäftigungszahlen.
Wesentliche Schlussfolgerungen aus dem Stimmungsbild für die Kammern sind, die international hoch geschätzte deutsche duale Berufsausbildung hierzulande stärker ins öffentliche Interesse zu rücken und an den allgemeinbildenden Schulen das Thema Wirtschaft zu priorisieren sowie die Möglichkeiten der Zuwanderungen qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland besser bekannt zu machen und zu erleichtern. Ebenso gilt es, die Anreize für lebenslanges Lernen zu erhöhen und vor allem Betriebe ohne eigene Personalabteilung hier intensiver zu unterstützen sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben weiter zu fördern.