Revolution hier, Stillstand da

Zwischen den Polen automobiler Revolution und schleichender Deindustrialisierung in Deutschland bewegte sich das Themenspektrum des 25. Internationalen Jahreskongresses der Automobilindustrie am 12./13. Oktober 2021 in Zwickau.
Zwischen den Polen automobiler Revolution und schleichender Deindustrialisierung in Deutschland bewegte sich das Themenspektrum des 25. Internationalen Jahreskongresses der Automobilindustrie am 12./13. Oktober 2021 in Zwickau. (Foto: Frank Reichel)
15.10.2021 | Redaktion Autoland

Revolution in der Autowelt mit Elektrifizierung und Digitalisierung hier, drohende Deindustrialisierung mangels wettbewerbsfähiger Rahmenbedingungen da und mittendrin Halbleiterkrise, gestörte Lieferketten, unkalkulierbare Fertigung sowie einbrechendes Geschäft und Liquiditätsengpässe bei eigentlich vollen Auftragsbüchern – in dieser Gemengelage müssen sich die Partner in der automobilen Wertschöpfungskette momentan behaupten. Keine leichten Themen, welche den 25. Internationalen Jahreskongress der Automobilindustrie begleiteten, der gemeinsam mit der 8. Jahreslounge des Netzwerks Automobilzulieferer Sachsen AMZ am 12./13. Oktober 2021 in Zwickau stattfand und „Revolution in der Autowelt“ als Veranstaltungsmotto gewählt hatte.

Zwickau – Epizentrum der E-Mobilität

In Sachen e-mobiler Revolution ist Zwickau aktuell das Epizentrum, denn das VW-Werk im Ortsteil Mosel nimmt eine Schlüsselstellung in der VW-Elektrifizierungsoffensive ein. Der Standort wurde in den letzten drei Jahren komplett auf die Fertigung batterieelektrischer Fahrzeuge umgebaut und hat sich dabei auch zu einem Mehrmarkenwerk entwickelt. Mittlerweile werden mit dem ID.3 und dem ID.4 von VW, dem Q4 e-tron und dem Q4 Sportback e-tron von Audi sowie dem Cupra Born von Seat fünf Modelle von drei Konzernmarken produziert. Noch in diesem Jahr kommt mit dem ID.5 ein sechstes Modell hinzu. Damit verfügt Zwickau über das größte Produktportfolio auf der MEB-Plattform des VW-Konzerns, wie Dr. Stefan Loth, Sprecher der Geschäftsführung von VW Sachsen, auf dem Kongress betonte.

Was der Umstieg zur E-Mobilität für die Produktion nächster E-Fahrzeug-Generationen bedeutet, zeigte Dr. Martin Goede, Leiter Produktion der Zukunft und Fabrikkonzepte der Marke VW, zur AMZ-Lounge auf. Gefragt sind aufwandsarme und flexible Fabrikkonzepte mit den Eckpfeilern Automatisierung und Digitalisierung. Die bisher heterogenen IT-Architekturen an den einzelnen Standorten werden sich zu einer digitalen Produktionsplattform entwickeln, vernetzt bis in die Zulieferketten hinein, gab er einen Ausblick auf die nahe Zukunft. Ziel ist, die Fertigungszeit pro Fahrzeug deutlich zu senken. Die durchgehende Bedatung der Fahrzeuge, ihr teilautonomes Durchschleusen durch die Produktion sowie intelligente Materialflüsse lauten nur einige Herausforderungen, die eng mit der nächsten Mobilitäts-Revolution verbunden sind.

Digitalisierung – die zweite Revolution

Während die erste, die e-mobile Welle bereits auf den Straßen rollt, kommt die zweite schleichender, aber umso kräftiger und allumfassender daher, betonte der IAV-Geschäftsführer Matthias Kratzsch. Denn die Zukunft ist der vollständig vernetzte Verkehr und ein software-definiertes Automobil, das während seines Betriebes in Echtzeit mit der Umwelt kommuniziert, Applikationen ändert, neue Features lädt. Während des gesamten Lebenszyklus wird es software-seitig begleitet. Damit ändern sich die Anforderungen an die funktionale Sicherheit, an das Fahrzeug-Zulassungsprozedere sowie an die gesamte Entwicklungskette komplett, verdeutlichte Matthias Kratzsch den Wandel, der hier noch passieren muss. Das Engineering-Unternehmen mit sächsischen Standorten in Stollberg, Chemnitz und Dresden „sortiert sich deshalb neu“. Gewachsen aus dem Antrieb heraus baut es die Basis-Softwareentwicklung zum größten Geschäftsfeld auf. Die Bereiche Fahrzeug- und Antriebsentwicklung werden zudem eigene Software-Kompetenzen haben.

Automatisierung und Digitalisierung sind Trends, denen sich Zulieferer und Dienstleister genauso stellen müssen wie Hersteller und Entwickler. Wie man daraus neue Geschäftsmodelle generieren und den Kunden Mehrwert bieten kann, stellte Torge Brandenburger vom Automobildienstleister Clavey vor. Das aus dem Industrieservice kommende Unternehmen hat eine eigene Toolbox entwickelt, die an verschiedene Anlagen angeschlossen werden kann und deren Zustand prüft. Vorausschauende Instandhaltung und bessere Anlagenverfügbarkeit heißen hier die entscheidenden Effekte. Auch bei einem Bauteilwechsel lassen sich aus den Daten in der Box verlässliche Aussagen gewinnen. Clavey stellt den Kunden die erhobenen Informationen zur Verfügung. Das wird zwar nicht direkt mit Geld, aber mit neuen Aufträgen honoriert, so Torge Brandenburger.

Ambitionierte Klimaziele brauchen beste Rahmenbedingungen

Den Revolutionen im technischen Bereich fehlt jedoch oft das Äquivalent aus der Politik. Steigende Energiekosten, Verbot von Verbrennern und einseitiger Fokus auf batterieelektrische Mobilität sind genauso kontraproduktiv wie industriepolitische Konzepte, die für Städte ausgelegt sind und an den Bedarfen in ländlichen Räumen völlig vorbeigehen. Dort scheitert die Umstellung Grünstrom bereits an der nicht vorhandenen Energieinfrastruktur, wie Max Jankowsky, Geschäftsführer der Gießerei Lößnitz betonte. Mit dieser Ignoranz leiste die Politik einer Deindustrialisierung in Deutschland Vorschub.

Für die ambitioniertesten Klimaziele der Welt braucht es die besten Standortbedingungen der Welt, brachte es der VDA-Geschäftsführer für Politik und Gesellschaft, Dr. Kurt-Christian Scheel, auf den Punkt. Er betonte, dass die Branche die ehrgeizigen Klimaziele erreichen kann – jedoch nur mit Technologieoffenheit und ohne Verbote. Neben E-Mobilität und einer ordentlichen Ladeinfrastruktur sei die Nutzung erneuerbarer Kraftstoffe dafür unabdingbar. Er warb für eine Beimischungsquote von 30 Prozent bis 2030. In Richtung der neuen Bundesregierung appellierte er, die jeweiligen Verkehrsmittel nicht gegeneinander auszuspielen und generell mit einer einheitlichen, sauber abgestimmten Position zu Klima und Verkehr auf europäischer Ebene zu agieren.

Zur AMZ-Jahreslounge am 12. Oktober diskutierten zum Thema „Zurück in die Erfolgsspur mit Innovationen“: Ronny Blochwitz/E-Auto.de, Wilfried Riemann/Wiricon, Dietmar von Polenz/Interim(4)Automotive, Dr. Martin Goede/VW, Torge Brandenburger/Clavey und Dirk Vogel/AMZ-Netzwerkmanager (v. l.).
Zur AMZ-Jahreslounge am 12. Oktober diskutierten zum Thema „Zurück in die Erfolgsspur mit Innovationen“: Ronny Blochwitz/E-Auto.de, Wilfried Riemann/Wiricon, Dietmar von Polenz/Interim(4)Automotive, Dr. Martin Goede/VW, Torge Brandenburger/Clavey und Dirk Vogel/AMZ-Netzwerkmanager (v. l.). (Foto: Frank Reichel)

Südafrika im Fokus

Im internationalen Fokus stand zum Jubiläumskongress die Republik Südafrika. Botschafter Phumelele Stone Sizani sowie Vertreter von im Land produzierenden Automobilherstellern zeigten Wachstumsfelder auf. Zur AMZ-Lounge stellte außerdem Sebastian Metz von der Auslandshandelskammer Rumänien die Autoindustrie des südosteuropäischen Landes vor.

Klimaneutrale Veranstaltung

Einen Beitrag zum Klimaschutz hat der Zwickauer Jubiläumskongress direkt geleistet. Die Gießerei Lößnitz, einer von vielen Sponsoren, hat mit dem Kauf von 20 Zertifikaten für ein Wasserkraftprojekt in Indien die Treibhausgasemissionen der Veranstaltung ausgeglichen.

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