Suche nach Antworten in Zeiten der Fragezeichen

Mehr als 200 Vertreter der Automobilbranche verfolgten den ACOD-Kongress 2019 in der Gläsernen VW-Manufaktur in Dresden.
Mehr als 200 Vertreter der Automobilbranche verfolgten den ACOD-Kongress am 4. September 2019 in der Gläsernen VW-Manufaktur in Dresden. (Foto: Frank Reichel)
09.09.2019 | Redaktion Autoland

In Zeiten drastischer Umbrüche und großer Unsicherheiten wächst der Drang nach konkreten, verlässlichen Informationen. Insofern erfüllte das Zusammenkommen von mehr als 200 Vertretern der Automobilbranche auf dem ACOD-Kongress 2019 am 4. September in Dresden auch eine therapeutische Funktion vor dem Hintergrund schwieriger Diagnosen. Die Aufmerksamkeit bei den Vorträgen und die Intensität der Netzwerkgespräche waren deutlich ausgeprägter als bei Vorveranstaltungen.

Konkreter geworden sind auf jeden Fall die Inhalte hinter den Schlagworten Elektromobilität und Digitalisierung, die zu den wesentlichen Kongressthemen gehörten. Dazu trägt der auf Hochtouren laufende Umbau des VW-Werkes Zwickau zum weltweiten E-Mobilitäts-Leitwerk des Konzerns bei. Fünf Tage vor der Weltpremiere des ID.3 auf der IAA berichtete Reinhard de Vries, Geschäftsführer Technik und Logistik bei der Volkswagen Sachsen GmbH, dass die Umwandlung des bestehenden in einen völlig neuen Produktionsstandort gut vorankommt. Bereits Ende November 2019 soll die Serienproduktion des ID.3 in Zwickau starten. Weitere Neuanläufe folgen in kurzen Intervallen. In der finalen Ausbaustufe bis 2021 werden sechs Modelle der Marken VW, Audi und Seat auf Basis des Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) gefertigt. Aufmerksame Beobachter im Publikum registrierten, wie sich die Hochlaufplanung bis 2022 im Vergleich zu früheren Präsentationen verändert hat, und zogen daraus Rückschlüsse für ihr Geschäft. Die Produktionskapazität des Zwickauer Werkes soll von aktuell 300.000 Fahrzeugen pro Jahr zukünftig um zehn Prozent auf 330.000 steigen. Insgesamt errichtet der VW-Konzern bis 2022 acht MEB-Standorte – neben dem Pilotwerk Zwickau werden zukünftig auch in Bremen, Dresden, Emden, Hannover, Mlada Boleslav, im US-amerikanischen Chattanooga sowie in den chinesischen Werken Anting und Foshan E-Fahrzeuge gebaut.

Mit CATL-Investition Achillesferse unverwundbarer machen

Die Achillesferse der europäischen Automobilindustrie in punkto E-Mobilität ist die noch fehlende Batteriezellenproduktion vor Ort. Dieser Verwundbarkeit soll die Investition von CATL entgegenwirken. Das chinesische Unternehmen, seit 2017 die weltweite Nummer 1 in der Produktion von Lithium-Ionen-Zellen, betreibt über China hinaus Werke in Japan, den USA sowie in Kanada und im Kongo. Die beiden letztgenannten Standorte dienen vor allem der Rohstoffgewinnung. Bei der Suche nach einem Platz in Europa fiel die Wahl auf Thüringen. Man habe erst einen Standort in Osteuropa präferiert, sich dann aber doch für Deutschland entschieden, nicht zuletzt, weil hier erneuerbare Energien deutlich weiter ausgebaut sind, betonte CATL-Europa-Chef Matthias Zentgraf. Weitere Gründe für den Standort am Erfurter Kreuz sind die Nähe zu den OEM-Werken, die logistische Infrastruktur und die verfügbaren Arbeitskräfte. Letztgenannter Umstand ruft bei Unternehmen in der Region jedoch nicht nur Freude hervor, war in den Kongresspausen zu hören. Man befürchtet das Abwerben gestandener Mitarbeiter.

Nachhaltige Mobilität gründet sich nicht allein auf den batterieelektrischen Antrieb. Es wird hier ein Nebeneinander verschiedener Antriebsarten geben, kein Entweder-Oder. Beispielsweise ist die Brennstoffzelle insbesondere für die Langstrecke eine Alternative, so Ferry M. M. Franz, Direktor Konzernrepräsentanz Toyota Motor Europe. Er verwies auf die Vorteile wie einem drei- bis maximal fünfminütigen Tankvorgang und die Nutzung der vorhandenen Tankstelleninfrastruktur bei diesem Null-Emissions-Antrieb.

Schnellere politische Entscheidungen bei Ladeinfrastruktur angemahnt

Die fehlende Ladeinfrastruktur, der hohe Anschaffungspreis und die zu geringe Reichweite sind nach wie vor drei Hauptgründe, die Käufer von batterieelektrischen Autos fernhalten. Dass diese und weitere Vorurteile nicht mehr der Realität entsprechen, war Inhalt des Vortrags von Stefan Kapferer,

Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW). Er verwies darauf, dass zehn Millionen E-Fahrzeuge den Strombedarf um vier Prozent erhöhen. Das sei seitens der Stromverfügbarkeit bereits heute abbildbar. Überlegen müsse man dagegen, ob man beim Aufbau der Ladeinfrastruktur aktuell den richtigen Ansatz verfolge. Statt wie bisher vor allem in Langsamlader zu investieren, die heute etwa zwei Stunden pro Tag genutzt würden, sollte der Pool der Schnellladesäulen ausgebaut werden. Kapferer mahnte an, die seit mehreren Jahren schwelenden Themen wie Änderungen im Miet- und Eigentumswohnrecht für unkomplizierteres Laden oder die Zulassung von Technik für intelligentes gleichzeitiges Laden seitens der politisch Verantwortlichen endlich zu entscheiden.

Ein Plädoyer für die Gestaltung unkomplizierter und verlässlicher rechtlicher Rahmenbedingungen, um der E-Mobilität zur großflächigen Nutzung zu verhelfen, hielt Dr. Gerd Leutner, Partner bei der Wirtschaftsrechtskanzlei CMS Hasche Sigle. Er warb für mehr koordiniertes Denken und Handeln, um den Paragraphen-Dschungel zu entwirren und um Privatinitiativen zu fördern.

Auf die Rolle von Politik und Staat beim Mobilitätswandel war bereits der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in seinem Grußwort eingegangen. Richtig sei, dass der Staat den Rahmen setzt für Forschung, für Infrastruktur. Alles andere solle den Verbrauchern und den Unternehmen überlassen werden. Die Politik erwecke den Anschein, als wüsste sie genau, was sich durchsetzt. Sie solle sich jedoch darauf konzentrieren, mehr Freiheit und weniger Bürokratie sowie staatliches Eingreifen zu organisieren, adressierte er an seine eigenen Reihen.

Podiumsdiskussion auf dem ACOD-Kongress 2019 zur Rolle des Menschen in der zukünftigen Arbeitswelt.
Podiumsdiskussion zur Rolle des Menschen in der zukünftigen Arbeitswelt. V. l.: Florian Arndt/Geschäftsführer Sons of Motion Pictures GmbH, Katrin Pape/CEO und Co-Founder MVCon InnovationLab GmbH, Dr. Holger Naduschewski/Geschäftsführer Volkswagen Bildungsinstitut GmbH, Dr. Jens Katzek/Geschäftsführer ACOD GmbH, Reinhilde Willems/Geschäftsführerin Operativ Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, Dirk Wottgen/Leiter Personal BMW Group Werk Leipzig. (Foto: Frank Reichel)

Kompetente Qualifizierungen und flexiblere Arbeitszeitmodelle

In einer Podiumsdiskussion gingen Vertreter von Arbeitsagentur, BMW, Volkswagen Bildungsinstitut und von Rekrutingagenturen der Frage nach, ob der Mensch zum limitierenden Faktor in der Produktion der Zukunft wird. Damit dies sowohl hinsichtlich der Kompetenzen als auch der verfügbaren Zahl nicht passiert, wurden mit den Qualifizierungs- und Teilhabechancengesetzen Möglichkeiten geschaffen, um Geringqualifizierte bzw. Seiteneinsteiger in Unternehmen jeglicher Größenordnung zu Fachabschlüssen zu führen und die notwendigen Qualifizierungen für neue Arbeitsaufgaben auszuprägen. Neben den richtigen Kompetenzen spielt auch der Aufbruch starrer Arbeitszeitmodelle zukünftig verstärkt eine Rolle. Dass man z. B. Schichtarbeit flexibler gestalten kann, ist die Idee hinter vote2work, einer neuen Form der Personaleinsatzplanung. Sie wird vom MVCon InnovationLab angeboten.

In Workshops zur Digitalisierung und zur Flexibilisierung der Produktion wurden die Themen des Kongresses weiter vertieft.

Der ACOD-Kongress ist eine Veranstaltung des Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD). Der Cluster ist seit 2004 die länderübergreifende Initiative und gemeinsame Aktionsplattform der in Ostdeutschland aktiven Automobilhersteller, Zulieferer und Dienstleister, Forschungsinstitute, Verbände, Institutionen und Zuliefer-Netzwerke.

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