Automatisiertes Fahren hochkomplex testen

Automatisiertes Fahren mit maximaler Komplexität testen
Mit Schwarmtests auf dem Dekra Lausitzring werden Fahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen in hoch komplexe Verkehrssituationen gebracht, um sicherzustellen, dass sie im realen Verkehr sicher funktionieren. Im Forschungsprojekt LAURIN werden die Methoden entwickelt, damit die Versuche sowohl in der Realität als auch in der Simulation reproduzierbar und direkt vergleichbar durchgeführt werden können. Foto: Dekra
10.11.2023 | Redaktion Autoland

Automatisierte Fahrfunktionen testen die Partner im Forschungsprojekt LAURIN mit maximaler Komplexität. Dazu nutzen sie die Infrastruktur des Dekra Lausitzrings. Sie ermöglicht Schwarmtests, mit denen sich beliebig komplexe Verkehrsszenarien nachstellen lassen. Dabei werden Fahrzeuge bzw. Fahrfunktionen maximalen Anforderungen ausgesetzt. Den Zwischenstand präsentierten die Experten kürzlich bei einer Fachkonferenz.

Wesentlicher Bestandteil des Projekts ist, praktisch jede reale Straßensituation bzw. jedes beliebige Szenario auf dem Lausitzring abbilden zu können. Die Basis dafür bildet die vorhandene Vielfalt an Strecken, allen voran die im vergangenen Sommer eröffneten neuen flexiblen Citykurse. „Mit der Expertise von DEKRA und unserem Testequipment lassen sich die Szenarien reproduzierbar nachstellen“, erklärt Konsortialleiter Felix Kocksch.  

Reale Unfallszenarien als Grundlage

Unter der Federführung des Fraunhofer IVI demonstrierten die Partner, wie sich Unfallszenarien, die aus realen polizeilichen Unfallberichten aufwändig aufbereitet wurden, aus einer Datenbank auf dem Testgelände rekonstruieren lassen. „So können wir Assistenzsysteme oder automatisierte Fahrfunktionen in nachweislich kritischen Situationen testen. Ein reales Unfallgeschehen kann so im Test mit einem modernen Assistenzsystem nachgefahren werden, wobei das System beweist, dass es den Unfall verhindern kann“, schildert Kocksch ein im Rahmen der Halbzeitbilanz gezeigtes konkretes Beispiel.

Testabläufe in hohem Maß automatisiert

Die Testabläufe können dabei in hohem Maß automatisiert werden. Sie bilden die Grundlage für das Testen künftiger Funktionen der so genannten kooperativen vernetzten und automatisierten Mobilität. „Ein Beispiel dafür wäre, wie in Zukunft auch Infrastruktur wie eine Ampel in das Szenario mit eingebunden wird und Informationen an Fahrzeuge oder andere Verkehrsteilnehmer sendet – etwa über Ampelphasen oder über Objekte, die per Sensorik in der Infrastruktur erkannt wurden“, so der Konsortialleiter. In der zweiten Hälfte der Projektlaufzeit soll unter anderem die Forschungsarbeit in dieser Richtung erfolgen. 

Schwarmtests in der Realität und im digitalen Zwilling

Neben den Teststrecken bildet die Testmethodik des Schwarmtests das zweite wesentliche Standbein des Forschungsprojekts LAURIN. Das Konzept erfuhr seit Projektstart eine umfassende Weiterentwicklung Unter anderem läuft der Prozess zur exakten Digitalisierung des Testgeländes. „Die Grundbefahrung des Geländes mit hochgenauer Vermessungstechnik ist erfolgt“, erklärt Kocksch. Wenn ein konkretes Szenario – etwa in Bezug auf Streckenlayout und Fahrbahnmarkierung – in der Realität aufgebaut ist, lassen sich dadurch aus Drohnen-Fotos schnell und flexibel entsprechende HD-Karten erstellen.

Die Szenarien können damit sowohl in Wirklichkeit als auch mit dem so genannten digitalen Zwilling des Testgeländes durchgeführt werden. Dank der Software des Projektpartners TraceTronic lassen sich die Manöver der bewegten Objekte bequem in der Simulation erstellen. „Das eröffnet uns optimale Möglichkeiten, die realen Tests mit virtuellen Versuchen gegenüberzustellen und direkt vergleichbar zu machen“, sagt der Konsortialleiter. Erprobt wurde im Projekt außerdem eine Anbindung zur automatisierten Testfallauswertung. 

5G-Campusnetz als wichtiger Baustein

Ein weiterer wichtiger Baustein für das szenarienbasierte Testen im Schwarm ist das 5G-Campus-Netz. Schon heute erfolgt die Abdeckung großer Bereiche des Testgeländes am Dekra Lausitzring mit einem privaten 5G-Netz; der weitere Ausbau läuft. Projektpartner Smart Mobile Labs arbeitet an der anforderungsgerechten Konfiguration der 5G-Infrastruktur.

Zusammenspiel bewegter Objekte auf dem Testareal demonstriert

Wie all das zusammenspielt, demonstrierten die Experten zur Veranstaltung „The ADAS Experience“ der carhs GmbH Ende September 2023. Dazu erfolgte ein Schwarmtest mit sechs Beteiligten. Darunter war zunächst das so genannte „Vehicle under test“. Das ist das zu testende Fahrzeug mit modernen Assistenzsystemen. Hinzu kamen zwei von Fahrrobotern gesteuerte Serienfahrzeuge, ein Fahrzeug, dessen Aktuatorik über elektronische Signale („by wire“) ferngesteuert wird, sowie zwei überfahrbare Plattformen, die mit Soft Targets einen weiteren Pkw sowie einen Radfahrer simulierten. „Das Zusammenspiel aus bewegten Objekten im Testszenario punktgenau zu steuern und damit reproduzierbar zu machen, ist dabei die große Herausforderung, und wir haben im Projekt gezeigt, dass es funktioniert“, so Felix Kocksch. Hierfür entwickelt Projektpartner iMAR seine Leitstandlösung weiter, welche bereits genutzt wird, um alle Objekte zentral zu orchestrieren und zu überwachen. Ziel ist es, die Methoden, die im Projekt LAURIN erprobt werden, letztlich auf Schwärme mit bis zu zwölf Objekten anwenden zu können.

Im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts geht es jetzt darum, die bisher erarbeiteten einzelnen Bestandteile weiter miteinander zu verknüpfen und in ein integriertes Gesamtkonzept zu überführen. Nach diesem können künftig im alltäglichen Versuchsbetrieb die hoch komplexen Tests zur Absicherung des automatisierten Fahrens durchgeführt werden.  

Das Forschungsprojekt LAURIN

Das Forschungsprojekt LAURIN startete im Mai 2022. Es ist auf drei Jahre angelegt. Konsortialführer Dekra arbeitet im Projekt gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI (Dresden), der iMAR Navigation GmbH (St. Ingbert), der Smart Mobile Labs AG (München) und der TraceTronic GmbH (Dresden). Insgesamt werden im Projekt rund 4,2 Millionen Euro investiert. Es erfährt Förderung im Rahmen der Innovationsoffensive mFUND mit insgesamt 2,45 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr.

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