Veränderungsbereitschaft gefordert

Veränderungsbereitschaft gefordert
Vom Wollen ins Handeln kommen im komplexen Strukturwandelprozess der Automobilindustrie, dabei unterstützt das ITAS-Team der IHK Chemnitz KMU der Region mit Automotive-Bezug: Projektleiter und Strategiecoach Patrick Korn, Projektassistentin Lina Wimmer, Strategiecoach Jörg Eichhorn sowie Personalstrategie- und Qualifizierungscoach Jörn Zeidler (v. l.). Foto: Wolfgang Schmidt
30.01.2024 | Redaktion Autoland

Die dafür notwendigen Grundlagen und Fähigkeiten wollen die Akteure in der „Initiative Transformation Automobilregion Sachsen“ ITAS schaffen. Unter Konsortialführerschaft der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft CWE arbeiten die IG Metall, die Bundesagentur für Arbeit, das Automobilzuliefernetzwerk AMZ und die IHK Chemnitz gemeinsam an dieser Aufgabe. 

Vom Wollen ins Handeln kommen

Das ITAS-Team der IHK Chemnitz ist der Ansprechpartner für regionale KMU mit Automotive-Bezug in diesem Transformationsprozess. Vereinfacht gesagt, begleitet es die Unternehmen dabei, vom Wollen ins Handeln zu kommen – mit Strategiecoaching und Personalstrategiecoaching. Die drei Coaches waren selbst viele Jahre in leitenden Positionen in Unternehmen tätig und verfügen ebenso über Erfahrungen als Firmengründer. Sie wissen, dass Veränderungsmanagement zum Grundwerkzeug unternehmerischen Handelns gehört. „Viele Firmen in der Region beweisen seit Jahrzehnten, dass sie es immer wieder schaffen, sich neu zu erfinden. Die jetzige Situation fordert sie jedoch in vielfacher Hinsicht. Der technische Wandel in der Automobilbranche, die aktuelle Marktschwäche, die vielen Krisen der jüngsten Zeit sowie eine generell große Unsicherheit erschweren es den Unternehmen, Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung zu treffen“, erklärt Patrick Korn, Strategiecoach und Projektleiter des ITAS-Teams der IHK Chemnitz.

Lethargie können wir uns nicht leisten

Strategiecoach Jörg Eichhorn verweist darauf, dass diese Entscheidungen aber dringend notwendig sind. „Lethargie können wir uns nicht leisten. Denn wer abwartet, wer nicht agiert, über den wird bestimmt. Wir wollen deshalb die Unternehmen unterstützen, ins Handeln zu kommen, ihnen Hilfe zur Selbsthilfe geben“, betont er. Der Ansatz des IHK-ITAS-Teams ist das systemische Coaching. „Man kann das mit einem Puzzle vergleichen. Am Anfang hat man vielleicht noch nicht einmal eine klare Vorstellung vom fertigen Bild, weiß auch nicht, was einzelne Elemente bedeuten und kann noch keine Zusammenhänge erkennen. Im Coachingprozess unterstützen wir die Unternehmen dabei, Teile des Puzzles zu identifizieren, Wechselwirkungen zu sehen, Elemente auszutauschen, neue Perspektiven einzunehmen und auf dieser Basis eine umfassende und gut durchdachte Strategie zu entwickeln“, erläutert Jörg Eichhorn.

Einstieg in die Strategieentwicklung

Das Strategiecoaching ist keine Form der Beratung. Darauf weist Patrick Korn explizit hin. „Ein Strategiecoach kommt nicht ins Unternehmen, um Ratschläge zu erteilen oder Handlungsanweisungen zu geben. Wir begleiten die Unternehmen dabei, ihre eigenen Lösungen und Strategien zu entwickeln. Mit bestimmten Fragetechniken bieten wir Hilfestellung und loten gemeinsam mit dem Unternehmen Chancen und Risiken aus. Unsere Coachings stellen einen Einstieg in die Strategieentwicklung dar. Im Ergebnis erhalten Unternehmen eine Roadmap mit spezifischen Handlungsfeldern, die ihnen den weiteren Weg aufzeigt. Für die Weiterführung können sie sich sowohl externer Kompetenz bedienen als auch eigenständig ihre Vorhaben umsetzen.“

Veränderte Wahrnehmung und Priorisierung des Personals notwendig

Neben dem strategischen Coaching ist das Personalstrategie- und Weiterbildungscoaching ein zweiter Schwerpunkt in der Arbeit des IHK-ITAS-Teams. Das ist das Feld von Personalstrategie- und Qualifizierungscoach Jörn Zeidler. Veränderungsbedarf sieht er vor allem in der Wahrnehmung und Priorisierung des wertvollsten Kapitals eines Unternehmens – der Mitarbeiter. „Die Attraktivität eines Arbeitgebers wird längst nicht mehr nur an messbaren Fakten wie der Vergütung bewertet. Weiche Faktoren wie moderne Arbeitsmethoden, eine zielgerichtete Förderung oder ein attraktives Wertesystem gehören ebenso dazu. Wie man als Arbeitgeber seine Marke schärfen kann und wie man Personal- und Organisationsentwicklung zeitgemäß ausrichtet, sind einige Themen, auf die wir uns fokussieren. In Intensiv-Workshops erarbeiten wir mit den Unternehmen passende Strategien. Darüber hinaus planen wir auch unternehmensübergreifende Netzwerk-Veranstaltungen, auf denen übergeordnete Themengebiete aufgegriffen und Erfahrungen ausgetauscht werden“, umreißt er die Angebote für KMU auf diesem wichtigen Feld.

Mit fünf Werken von Volkswagen, BMW und Porsche sowie rund 780 Zulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern der Branche gehört das „Autoland Sachsen“ zu den deutschen Top-Standorten. In der sächsischen Automobilindustrie sind über 95.000 Menschen tätig. Mehr als die Hälfte davon – über 50.000 Beschäftigte – arbeiten in Südwestsachsen. Entsprechend massiv ist die Region von der Transformation des Mobilitätssektors betroffen. Karte: AMZ

Innovationsvorsprung in Produktionsprozessen erforderlich

Die Entwicklung zukunftsfähiger unternehmerischer Strategien geht einher mit den Aktivitäten der weiteren ITAS-Partner. Die technologischen Veränderungen und die sich daraus ergebenden Chancen hat das sächsische Automobilzuliefernetzwerk AMZ im Blick. Andreas Wächtler vom ITAS-Partner AMZ nennt erste praktische Schritte. „Damit Südwestsachsens Zulieferer langfristig attraktive Fertigungspartner bleiben, ist unter anderem ein Innovationsvorsprung bei den Produktionsprozessen nötig. Hier geht es vor allem um die Integration von automatisierten Fertigungssystemen, Robotik und IoT-Lösungen.“

Auch die Softwarekompetenz spielt laut Wächtler in Zukunft eine große Rolle. „Zulieferer könnten sich auf die interne Entwicklung von Softwarelösungen konzentrieren, die speziell auf die Anforderungen der Automobilbranche zugeschnitten sind. Um die notwendigen Kompetenzen zügig aufzubauen und mit dem globalen Wettbewerb Schritt zu halten, bieten sich natürlich Partnerschaften beispielsweise mit Technologieunternehmen oder Start-ups an“, weiß Wächtler. Hier sieht das AMZ seine zentrale Rolle innerhalb der Initiative: „Wir können durch unser umfassendes Netzwerk bei der Anbahnung neuer Kooperationen und der Umsetzung von Innovations- und Pilotprojekten unterstützen,“ so Wächtler.

Alleinstellung im automatisierten Fahren als realistisches Ziel

Ein zukunftsrelevantes Alleinstellungsmerkmal kann Südwestsachsen auch durch den Aufbau von Kompetenzen im automatisierten Fahren entwickeln. Hier arbeite man bereits an einem Mobilitätskonzept für die Region Zwickau und Chemnitz, um das automatisierte Fahren auf der Straße besser erproben zu können. Ein weiterer Lösungsansatz ist etwa der Ausbau der Forschung und Entwicklung im Bereich der Batterietechnologie. Sogar der Bereich Schiene bietet Zulieferern neue Möglichkeiten. Dazu hat ITAS erste Verbindungen zum Smart Rail Connectivity Campus der TU Chemnitz geknüpft, der an neuen Technologien für diesen Bereich arbeitet.

Ebenfalls in der Diskussion ist das Thema Wasserstoffantrieb. Potenziale sieht Andreas Wächtler hier aktuell vor allem im Bereich Schwerlasttransport und Logistik; nicht primär im Pkw-Bereich.

Unternehmen investieren zu wenig in Qualifizierung

Basis für technologische Innovationen sind qualifizierte Fachkräfte, erklärt Jörg Fischer, operativer Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Zwickau. „Weiterbildung und Qualifizierung sind im aktuellen Strukturwandel Schlüsselthemen, doch in diese Thematik wurde von Unternehmen aus unserer Sicht zu wenig investiert. Im Jahr 2023 wurden in Südwestsachsen 1.005 Beschäftigungsqualifizierungen im Rahmen des Qualifizierungs-Chancengesetzes umgesetzt. Rechnet man dies um, sind das nur circa 0,2 Prozent der knapp 545.000 Beschäftigten in der Region“, so Fischer weiter.

Zudem seien zwar Berufsbilder wie etwa der Fahrzeuginterieur-Mechaniker, der Kunststoff- und Kautschuktechnologe oder der Elektroniker für Maschinen und Antriebstechnik modernisiert worden – etwa hinsichtlich E-Antrieb, Kreislaufwirtschaft oder der Digitalisierung der Fahrzeuge und der Fahrzeugproduktion. „Gänzlich neue Berufsbilder sind in der dualen Ausbildung bisher aber nicht in der Automobilwirtschaft entstanden. Ich persönlich sehe hier allerdings gerade bei der Batterieherstellung sowie im Bereich Recycling- und Kreislaufwirtschaft hohen Bedarf“, ergänzt Fischer.

Strukturwandel bringt neue Berufsbilder

Seiner Ansicht nach werden Berufsprofile mit hoher Routine auf Dauer deutlich weniger oder gänzlich verschwinden. Hier gelte es, mit individueller Weiterbildung der Arbeitnehmer gegenzusteuern. Die Arbeitsagentur unterstütze dabei in Form permanenter Beratung durch eigene Spezialisten sowie durch Förderung. Auch vom Gesetzgeber gibt es dabei Rückendeckung: Seit 2019 gilt ein Gesetz, das die Qualifizierung für vom Strukturwandel betroffene Berufe erleichtert. Seit 2021 wird zudem die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) angeboten. Hier erfolgt eine Beratung von Beschäftigten mit dem Ziel, dauerhaft im Unternehmen zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Hinzu kommen künftig eine Vereinfachung der Förder-Prozesse und ein gesetzlich eingeführtes Qualifizierungsgeld ab 1. April 2024.

Erfahrungsschatz der Mitarbeiter nutzen

„Die Qualifizierungsmöglichkeiten für den Wandel sind da, eine wichtige Aufgabe im Rahmen von ITAS wird es nun sein, zu den Geschäftsführungen aufzuschließen und sie von deren Bedeutung zu überzeugen“, sagt Fischer. Dazu ergänzt Alrun Fischer vom Konsortialpartner IG Metall: „Unternehmen verfügen durch ihre Mitarbeiter über einen wertvollen und in Veränderungsprozessen oft noch wenig genutzten Erfahrungsschatz: Die Kolleginnen und Kollegen sind mit dem Betrieb meist bestens vertraut und können ihre Ideen und Ansichten einbringen. Wir wollen dabei helfen, dass Betriebsräte und Belegschaften den Wandel als relevante Akteure gestalten und auf diesem Wege zu attraktiven Arbeitsbedingungen beitragen.“

Gesellschaftliche Akzeptanz für die Transformation schaffen, den technologischen Wandel der Zulieferer vorantreiben, Innovationskraft aufbauen, Fachkräfte weiterbilden, Geschäftsmodelle zukunftsfähig machen und Betriebe für neue Sparten und Produkte sensibilisieren – mit diesen Punkten fasst Boris Kaiser, Gesamtprojektleiter ITAS vom Konsortialführer CWE, die Ziele des Transformationsvorhabens kurz und prägnant zusammen.

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