Zulieferer unterschätzen Tempo und Umfang des Wandels AMZ-Manager Dirk Vogel und CATI-Direktoriumsmitglied Prof. Dr. Werner Olle im Interview

Im Interview: Prof. Dr. Werner Olle (l.), Direktoriumsmitglied des Chemnitz Automotive Institute CATI, und Dirk Vogel, AMZ-Netzwerkmanager, sehen deutlich mehr Chancen als Risiken für die sächsischen Zulieferer beim Transformationsprozess in der Branche
Prof. Dr. Werner Olle (l.), Direktoriumsmitglied des Chemnitz Automotive Institute CATI, und Dirk Vogel, AMZ-Netzwerkmanager, sehen deutlich mehr Chancen als Risiken für die sächsischen Zulieferer beim Transformationsprozess in der Branche. (Foto: Frank Reichel)
01.08.2019 | Redaktion Autoland

Das Automobilzuliefernetzwerk AMZ und das Chemnitz Automotive Institute CATI haben die E-Mobilitäts-Strategien der Automobilhersteller und die Auswirkungen auf die sächsische Zulieferindustrie analysiert. Die Ergebnisse stellten sie in einer Roadshow bei sechs Unternehmen mit rund 250 Teilnehmern vor. Nachfolgend skizzieren AMZ-Manager Dirk Vogel und CATI-Direktoriumsmitglied Prof. Dr. Werner Olle wesentlichen Erkenntnisse.

Sind die sächsischen Zulieferer auf den Wandel hin zur E-Mobilität vorbereitet?

Prof. Dr. Werner Olle: Technologisch besitzen sie das Potenzial, diesen Wandel aktiv mitzugestalten. Das ist eine Erkenntnis aus der Analyse von 200 Unternehmen, die mit insgesamt 50.000 Beschäftigten rund 65 Pro­zent der sächsischen Automobilzulieferindustrie repräsentieren und ebenso die Wertschöpfungsverteilung in den Bereichen Antrieb, Elektrik/Elektronik, Fahrwerk, Interieur und Karosserie abbilden. Zusätzlich haben wir 70 Gespräche direkt in den Unternehmen geführt. Analyse und Gespräche zeigen jedoch auch, dass die Branche mental zum Großteil noch nicht auf die Veränderungen eingestellt ist. Auch bei der Road­show haben wir bei der Vorstellung der mit konkreten Zahlen unterlegten OEM-Elektrostrategien bis 2025 immer wieder gehört: „Das hätte ich nicht erwartet.“ Die Zulieferer unterschätzen Tempo und Umfang des Wandels, der bereits im Gange ist.

Dirk Vogel: Diese Scheinsicherheit resultiert auch aus langfristigen Rahmenverträgen. Entscheidend sind aber die realen Abrufe, die im konventionellen Bereich sinken. Hinzu kommt: Ausbleibende Anfragen nach E-Kom­ponenten werden mit nicht existierendem Bedarf gleichgesetzt. Das ist ein trügerischer Gedanke. Die Zulieferer sollten sich aktiv um Know-how und Aufträge bemühen.

Worauf müssen sich die Zulieferer in punkto Wertschöpfung konkret einstellen?

Dirk Vogel: Wir haben 300 Bauteile im Pkw bezüglich ihrer Verwendung im batterieelektrischen, Hybrid- sowie Brennstoffzellenfahrzeug bewertet. Erwartungsgemäß treten im Antriebsstrang die meisten Ver­änderungen auf. Beim E-Antrieb entfallen 65 Pro­zent der bisher verwendeten Teile, 14 Prozent werden modifiziert, 19 Prozent kommen neu hinzu und nur zwei Prozent verbleiben. Im Segment Elektrik/Elektronik wird es dagegen 49 Prozent Neuteile und 35 Prozent modifizierte Teile geben. Etwa drei Prozent entfallen. Im Interieur, in der Karosserie sowie im Fahrwerk halten sich Verbleib- und modifizierte Teile etwa die Waage.

Prof. Olle: Die Veränderungen in der Teilestruktur sind mit massiven Umwälzungen in der Branche und der Region verbunden. Bei einem Szenario von 40 Prozent E-Fahrzeugproduktion 2025 haben wir über alle Segmente zwar nur einen Beschäftigungsrückgang von maximal zwei Prozent errechnet. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr große Unterschiede in den einzelnen Segmenten gibt. Der Antriebsbereich verliert 20 Prozent seiner Beschäftigung, der Elektronik-Bereich wächst um 17 Prozent. Da die antriebsrelevanten Unternehmen, die Beschäftigungsreduzierungen zu erwarten haben, in hohem Maße im Raum Zwickau/Chemnitz/Erzgebirge angesiedelt sind und die vor weiteren Beschäftigungszuwächsen stehenden Elektronik-Unternehmen vor allem im Raum Dresden, werden zusätzlich auch regionale Umgewichtungen erzeugt.

Was sollten Zulieferer jetzt tun?

Dirk Vogel: Wichtig ist, sich laufend über die Fertigungszahlen in den Fahrzeugmontagewerken zu informieren, um daraus zeitnah Rückschlüsse für die eigene Produktion zu ziehen. Weiterhin sind Aktivitäten zur Bestandssicherung und Risikominimierung ebenso wichtig wie das Ausloten der Chancen, welche die neuen Antriebskonzepte bieten. Während der Roadshow konnten die Teilnehmer bereits sechs Unternehmen aus dem Bereich Antriebsstrang sowie deren Umstrukturierungsstrategien kennenlernen.

Wie bewerten die Teilnehmer der Roadshow die vermittelten Informationen?

Prof. Olle: Wir erhalten ein durchweg positives Feedback für den hohen praxisorientierten Inhalt. Die restlos ausgebuchten sechs Veranstaltungen zeugen von dem gewaltigen Bedarf nach konkreten Informationen für den Transformationsprozess Elektromobilität. Dabei spiegeln die Unternehmen auch den Unterstützungsbedarf seitens der Politik wider.

Welche Unterstützung mahnen die Firmen an?

Dirk Vogel: An erster Stelle steht die schnelle Bereitstellung einer modernen realen und digitalen Infrastruktur, gefolgt von flankierenden Maßnahmen zur Sicherung des benötigten Personals und von vereinfachten, entbürokratisierten und auf den Umstrukturierungsprozess zugeschnittenen Förderinstrumenten.

Wie geht es nach der Roadshow weiter?

Dirk Vogel: Wir werden die Zulieferer weiter im Umstrukturierungsprozess begleiten und dafür auch künftig verschiedene Dialogformate anbieten, u. a. um markt- und technolo­giebasierte Informationen zu den einzelnen Produktbereichen zu vermitteln sowie Ansatzpunkte und Praxisbeispiele für erfolgreiche Transformationsschritte aufzuzeigen.

Ihre Untersuchungen haben sich vorrangig mit der batterieelektrischen Mobilität be­schäf­tigt. Welche Perspektive haben andere neue Antriebskonzepte?

Prof. Olle: Ob die batterieelektrische Mobilität auf lange Sicht die Lösung ist, vermag zum jetzigen Zeitpunkt wohl niemand zu sagen. Wir rechnen ab 2030 mit wachsenden Anteilen von Brennstoffzellen-Fahrzeugen. Und selbst bei elektrifizierten Verbrennern ist noch viel möglich. Bei allen berechtigten Zweifeln am Hochlauf der E-Mobilität darf man aber nicht vergessen, dass die Pläne der Automobilhersteller in diesem Punkt bis 2025 fix sind. Darauf muss man sich einstellen – jetzt!

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